Ortsgeschichte | Eupener Straße

Von Sidol zum Park Linné

Ein wirtschaftshistorischer Rückblick

 

Text: Prof. Dr. Klara van Eyll
Fotos: Ute Prang | Rheinische Industriekultur e.V.  |  Rheinisches Bildarchiv | Bilderbuch Köln | Henkel Archiv

 

Beitrag aus BlickPunkt 22

 

Fast jeder Bürger Kölns ist wohl stolz auf das, was seine Heimatstadt so besonders macht: den Dom natürlich und den Kranz der großen romanischen Kirchen, den Rhein, die Alt­stadt und all die wunderbaren Vee­del, in denen wir zu Hause sind.
Die Römerin Agrippina hat unsere Stadt einst gegründet. Während der römischen Herrschaft wurde ein erstes ummauertes Areal bebaut, ein gu­ter Hafen geschaffen, und es gab exzellente Straßen, die radial vom Zentrum nach Norden, Süden und in den Westen führten. An der Heerstraße nach Westen lag im Kreu­zungs­bereich der heutigen Stolberger und Eupener Straße ein rö­mischer Gutshof, auf dem 1960 das heute im Römisch-Germanischen Museum anzuschauende wunder­schöne Diatretglas gefunden wurde.
Köln wuchs im späten Mittelalter zur blühenden Handelsmetropole mit knapp 40 000 Bewohnern und damit zur größten Stadt Mitteleuropas heran. Die Freie Reichsstadt, die nach zwanzigjähriger französischer Besetzung 1815 preußisch wurde, blieb bis Anfang der 1880-er Jahre räumlich eng begrenzt auf ihre mit­tel­alterliche Fläche, umgeben und gesichert weiterhin von der alten Stadtmauer. Die aufstrebende In­dustrie fand seit der Mitte des 19. Jahrhunderts innerhalb der Mauern oft keinen Platz mehr. Die Unterneh­mensgründer wichen aus auf die zahlreichen Köln umgebenden selbstständigen Vororte wie Bay­enthal, Ehrenfeld links des Rheins oder Deutz und Kalk im Rechts­rheinischen. Hier entstanden die ersten größeren Fabriken. So ent­wickelten sich auch bislang dünn besiedelte Vororte, wie Kalk, nach 1850 ganz rasant. Der Industri­alisierung folgte die Urbanisierung dieser Orte.
1888, exakt vor nun 125 Jahren, erfolgten die großen Eingemeindun­gen nach Köln, die links-rheinisch neben der jungen Stadt Ehrenfeld auch die Gemeinden Kriel mit Lin­denthal, Sülz und Braunsfeld sowie die Gemeinde Müngersdorf mit Bi­cken-dorf, Bocklemünd, Melaten, Men­genich, Ossendorf und Vogel­sang umfassten. Die Vorortgrenze zwischen Müngersdorf und Brauns­feld verlief im Prinzip im Zuge der Eupener Straße – so erfasste es z.B. das Kölner Adressbuch von 1924. Diese Grenze war in den ersten Jahr­zehnten des 20. Jahrhunderts jedoch nicht einheitlich festgelegt.

Brauns Feld
Braunsfeld war im Vergleich zu Mün­gersdorf ein ganz junger Vorort. Den Namen erhielt er von Ferdinand Leo­pold Braun (1804-1892), der als Fuhr­knecht von Aachen nach Köln zog und hier 1835 in die Unterneh­mer­familie Nakatenus einheiratete. Seit 1845 verdiente er in der ersten Phase der Industrialisierung viel Geld mit neu konzessionierten Ziegeleien an der Kitschburger Straße („Mühlenweg“), Christian-Gau-Straße („Ziegelweg“) und an der später nach ihm benannten Braun­straße. 1864 beantragte Ferdinand Braun beim Bürgermeister von Ef­feren, für die 14 inzwischen entstan­denen oder im Bau befindlichen Häu­ser auf seinen Grundstücken einen eigenen Ortsnamen. So wurde „Braunsfeld“ am 20. April 1864 offi­ziell beurkundet.
Nördlich der Aachener Straße über­wogen bis ins frühe 20. Jahrhundert die Ackerflächen. Auf Grund und Bo­den des ehemaligen, Pauli gehören­den Maarhofs entstand vor dem Ers­ten Weltkrieg ein Wohnviertel mit an­sehnlichen Bürgerhäusern („Pauli­platz“). Die erste Industrieansiedlung in Braunsfeld erfolgte 1903 durch die Orivit AG, die von Ehrenfeld kam und an der Eupener Straße einen Fabrikneubau bezog. Im gleichen Jahr gründeten Oskar Siegel und Eugen Wolff in der Eifelstraße in der südlichen Neustadt eine chemische Fabrik für Reinigungs- und Lösungs­mittel, die 1910 ihren Standort zu­nächst nach Nippes verlegte, aber bereits im Folgejahr zur Eupener Straße in die Nachbarschaft von Orivit zog. Hier entstand 1911 der erste backsteinerne Fabrikbau von Siegel & Co., die wegen ihres da­mals gängigsten Produkts, Sidol, eines Metallputzmittels, fortan Sidol-Werke hießen. Außer dem Metall­putzmittel wurden nach 1918 viele neu entwickelte chemische Reini­gungs- und Pflegeprodukte ange­boten, darunter der Bohnerwachs „Sigella“. Die Herstellung aller Pro­dukte erfolgte noch im Handbetrieb, wobei die rasch steigenden Ferti­gungszahlen dringend eine Mecha­nisierung der Produktionsabläufe, d.h. insgesamt ein moderneres Fabrik­system erforderlich machten.
Das weitläufige Sidol-Gelände, das tief von der Eupener Straße bis zur Herbesthaler Straße reichte, bot ausreichend Platz für alle notwen­digen Erweiterungsinvestitionen einschließlich Neubauten. Als die Inflation überstanden war, setzte man diese Pläne mit Hilfe des in Köln und gerade auch in Braunsfeld sehr anerkannten Architekten Otto Müller-Jena (1875-1958) in die Tat um. Otto Müller stammte aus Jena und machte sich 1900 als Architekt in Köln selbstständig. Drei Jahre später gehörte er zu den Gründern der Kölner Ortsgruppe des Bundes Deutscher Architekten (BDA). 1906 heiratete Müller-Jena in die bekannte Kölner Architektenfamilie Wiethase ein. Vor dem Ersten Weltkrieg baute er in Köln das Verwaltungsgebäude der Colonia Versicherung am Rhein­ufer; 1914 war er mit wichtigen Ar­beiten auf der Kölner Werkbund-Aus­stellung vertreten.

 

Sidol – ein Unternehmen mit Weltgeltung
Den Inhabern der Sidol-Werke war Müller-Jena durch seine 1921 bis 1924 entstandenen kleinen Villen­bauten in der Malmedyer und in der Eupener Straße bekannt, die er mit der nach 1918 gegründeten „Barba­rossa Gesellschaft für Wohnungsbau mbH“ errichtete.
Müller-Jena erhielt von den Sidol-Werken den Auftrag, entsprechend den gestiegenen Produktionsanfor­derungen mehrere moderne Indus­triebauten in Eisenbeton-Bauweise zu planen, darunter ein Maschinen­haus, einen Bunker für Braunkohle, eine Heizkesselanlage, einen Wasser­turm, chemi­sche Laboratorien, eine Wachsschmelze, eine Halle zur Blechwarenherstellung für die eigenen Lösungsmittel, eine Dru­ckerei, alles nach neuesten tech­nischen Erkenntnissen, vollautoma­tisch, durchrationalisiert mit Fließ­band­systemen, wirklich avangar­distisch im Stil des „neuen Bauens“.
Die Neubauten der Sidol-Werke ent­standen 1926 bis 1928 auf einer win­kelförmigen Grundfläche in vier Ge­schoss­ebenen mit breiten Fenster­bändern. Die Fassaden erhielten einen glatten weißen Kalkputz. Das Fabrikensemble wurde in der Fach- wie in der Lokalpresse enthusi­as­tisch gelobt und als in seiner Art für das Rheinland äußerst selten herausgestellt.
Vor Ausbruch des Zweiten Welt­kriegs hatten die Sidol-Werke bei kontinuierlichem Wachstum 4 000 Beschäftigte. Es gab inzwischen Zweigniederlassungen in Amster­dam, Brüssel, Barcelona, Florenz, Lissabon und Warschau. Oskar Siegel gehörte nur bis 1922 zum Eigentümerkreis. Seit 1937 wurde das Unternehmen vom Sohn des Mitgründers Eugen Wolff (1878-1937), Franz Benno Wolff-Limper, geleitet. Einen Wermutstropfen in der erfolgreichen Geschichte von Sidol bedeutete es zweifellos, dass während des Zweiten Weltkrieges auch hier Zwangsarbeiter, vornehm­lich aus Polen, eingesetzt waren. 1943 zerstörten Luftangriffe Teile der Fabrikbauten, insbesondere die äl­teren aus Backstein an der Eupener Straße. 1946 bis 1951 vollzog sich der Wiederaufbau der chemischen Fa­brik mit dem Kölner Architekten Valentin Pollack (1900-1994). Ein eingeschossiges Versandhaus und ein Trafohaus mit Werkshalle wur­den neu errichtet. Die beiden mar­kanten Pförtnerhäuschen in Rund­bau­weise mit ihren typischen kleinen Fenstern entstanden 1949. Grundla­ge des ge­samten Fabrikensembles blieb auch jetzt das von Otto Müller-Jena in den zwanziger Jahren rea­lisierte Konzept des „neuen Bauens“.
1969 fusionierten die Sidol-Werke mit den Thompson-Werken in Düs­seldorf zur „Thompson-Siegel GmbH“. Aber bereits 1971 übernahm der Düsseldorfer Waschmittelher­steller Henkel & Cie. das gesamte Unternehmen. Seit Beginn der acht­ziger Jahre wurde die Produktion komplett von Köln nach Düsseldorf verlagert. Sidol wird noch heute von Henkel hergestellt.

Vom Industrieareal zum Wohnpark
Das Industriegelände zwischen Eupener und Herbesthaler Straße wurde damit, wie so viele andere bedeutende ältere Industrieareale Kölns, insbesondere aus Kölner Vororten, deindustrialisiert. Ein Teil des Geländes wurde Bestandteil des Technologieparks Braunsfeld der LIAG Lammerting Industriebau AG. Bis zum September 2009 verab­schiedete die Stadt Köln einen Bebauungsplan für dieses Gelände. Den Masterplan für einen neuen Wohnpark an dieser Stelle hat das Kölner Architekturbüro Schilling entwickelt. Im Oktober 2010 kaufte die Dornieden Generalbau, Mön­chengladbach, 5,3 Hektar der alten Industriefläche. Das wichtige Sidol-Gebäude von 1926 in Eisenbeton-Bau­weise von Otto Müller-Jena steht unter Denkmalschutz. Es soll in Zu­kunft für Büro- und Praxisflächen genutzt werden. Viele leer stehende Hallen wurden jetzt abgerissen, um Platz zu machen für ein völlig neues, gehobenes Wohnquartier an diesem deindustrialisierten Ort.
Bis 2016 entsteht hier in drei Bauab­schnitten mit insgesamt etwa 400 Wohn-einheiten in viergeschossigen Häusern mit Miet- und Eigentums­woh­nungen sowie kleineren Stadt­villen das Wohnquartier „Park Linné“, benannt nach dem berühmten schwe­dischen Botaniker des 18. Jahrhunderts.
Die Kölner Wirtschaftshistorikerin und Autorin dieses Beitrags machte ihren Osterspaziergang 2013 im neuen „Park Linné“, dessen Grün sich erst spärlich zeigt, dessen neue, noch staubige Straßentrassen noch keine Namen tragen. Sie alle sind jedoch laut Mehrheitsbeschluss der Bezirksvertretung Lindenthal re­serviert für weitere historisch be­deutsame Botaniker und Botani­kerinnen, wie Hildegard von Bingen, Basilius Besler, Eduard Strasburger, Elisabeth Schiemann und die Che­mikerin Clara Immerwahr (nicht Carla oder Carl – wie in diversen Presseartikeln zu lesen war).

Soll es hierdurch grüner werden in diesem mehr oder weniger eng be­bauten luxuriösen Wohnquartier? Wie schön wäre es, könnte die Köl­ner Wirtschaftshistorikerin, ja, könn­ten mit ihr viele Müngersdorfer und Braunsfelder Bürger, die doch alle ihre Stadt auch wegen derer ge­schichtlichen Eigenart lieben, beim zukünftigen Spaziergang durchs neue Wohnquartier Park Linné hier den Namen von Otto Müller-Jena, der seltsamerweise im Gegensatz zu seinem Schwiegervater Wiethase noch keine eigene Straße in Köln bekommen hat, oder – eine Reminis­zenz an den einst doch so bedeuten­den Wirtschaftsfaktor Sidol – Namen der hier so erfolgreichen Kölner Un­ternehmer Oskar Siegel und Ben­no Wolff-Limper in Erinnerung ge­halten werden. Sogar ein „Sidol-Platz“ er­schiene angesichts der Weltgel­tung dieses Produkts durch­aus sinnvoll.

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